Neurotiker: Ich kann nicht, ich mag nicht, bin ja so sensibel…

Hier geht´s nicht um Psycho-Neurosen wie Zwänge und Angststörungen, sondern um die Alltagsneurotiker, die sich selbst ganz normal finden

Neurotiker begrenzen, beschränken, beengen sich selbst – meist ohne es zu merken

Wer einen größeren Verwandten- oder Kollegenkreis hat oder wer schon einige Zeit in einer Singlebörse aktiv ist, weiß, dass es in allen drei Bereichen eine Sorte Mensch gibt, um die man nicht herumkommt: Neurotiker.
Ich auch nicht. Im Beruf nehme ich das gern in Kauf, denn die Neurotiker, die mich aufsuchen, wollen ja an ihren Problemen arbeiten. Ich spreche in diesem Beitrag nicht von denen, die eine psychologische Neurose haben wie Zwangs- und Angststörungen (auch Phobien), denn wenn man 80mal am Tag die Tür abschließt oder in Fahrstühlen Panik kriegt, dann weiß man in der Regel, dass was mit einem nicht stimmt.
Ich meine die Alltagsneurotiker, die sich nicht in fachliche Behandlung begeben, weil sie sich selbst für ziemlich normal halten (eher die anderen für daneben) und entrüstet sind, wenn ihnen Menschen ein ehrliches Feedback auf ihre neurotischen Verhaltensweisen und Einstellungen geben.

Ich erzähle einfach mal ein Beispiel, um euch ein Gefühl zu vermitteln, wie ein Neurotiker sein kann.
M. schrieb mich in einem wunderschönen Sommer über das Portal berlinersingles.de an; sein Profil und seine Mails wirkten sehr sympathisch, also schlug ich wie fast immer ein Telefonat vor, um ein Treffen abzumachen. Schon da verhielt er sich so kompliziert! Er brauchte genau den richtigen Moment zum Telefonieren, ständig passte es irgendwie nicht, und als ich ihn endlich an der Strippe hatte, hatte er zig Einwände zu allem, was ich vorschlug. Ich sagte etwa: „Das Wetter ist so super, lass uns in einem Straßenlokal treffen.“ Nein, wollte er nicht: die Geräusche der vorbeifahrenden Autos sind so laut, die Abgase… „Dann ein Biergarten?“ Nein, da sei das Essen immer so abscheulich, und wahrscheinlich wolle er ja eine Kleinigkeit essen. Ich: „Wir können uns ja in Friedrichshain an der S-Bahn treffen” (er wohnte am Rand von F´hain) “und einfach ein nettes Lokal suchen?“ Nein, war ihm zu stressig, erst was suchen zu müssen, und außerdem, die vielen Touristen da…!
Ich sagte, dann solle doch ER etwas nennen; er meinte nur, er könne ja in meinen Stadtteil kommen. „Fein!“, sagte ich, „in Schöneberg gibt´s viele nette Asiaten…“ Nein, bitte kein asiatisch, das vertrage er nicht. „Italienisch?“ Nein, das sei ihm als Vegetarier zu fleischlastig. „Gartenlokal mit Kiezküche?“ Erst nachdem er noch nachgehakt hatte, ob die Preise dort wohl nicht zu hoch seien und man nicht fettig koche, einigten wir uns endlich auf den Treffpunkt. Und nun der Termin: Freitag ging bei ihm nicht, weil, man weiß ja nicht, ob der Arbeitstag nicht zu anstrengend wird. Samstag ging nicht, weil, das ist sein Haushaltstag. Aber Sonntag. Ok. Uhrzeit: 17 Uhr? „Zu früh.“ 19 Uhr? „Zu spät.“ Gut, dann 18 Uhr.
Ehrlich, liebe/r Leser/in, wenn sich jemand zu so einem frühen Zeitpunkt in so banalen Punkten so kompliziert anstellt und die allermeisten Optionen ausschließt, dann hak es lieber gleich ab. Es sei denn, du bist genauso kompliziert. Dann passt es ja, dann könnt ihr euch gegenseitig einschränken.

Das Treffen war auch nicht der Hit. Er kam längst nicht so gut rüber wie auf seinen Bildern (nachbearbeitete Schwarzweiß-Fotos), sondern hatte eine merkwürdig fleckige und unregelmäßige Haut, als hätte er oft Neurodermitis oder so etwas, und wirkte überaus unentspannt. Das Bestellen seines Essens gestaltete sich auch schwierig, weil er einige Unverträglichkeiten und Allergien hatte.
Aber er mochte mich und fand mich toll, immerhin.
Ein paar Tage später fragte er mich per SMS, ob ich Lust auf ein erneutes Treffen hätte. Da grade die ganze Woche die tolle „Radio-1-Party im Park“ lief, schlug ich vor, dorthin zu gehen. Seine Antwort: „Ich weiß nicht… Ist mir vielleicht zu laut, und zu viele Menschen…“
Ich versicherte ihm, dass es eine ganz entspannte Sache sei, viel Platz, Bühne mit toller Musik, aber wir könnten auch einfach seitlich auf der Wiese sitzen und was trinken.
Offenbar brauchte er anderthalb Tage lang, um Anlauf für die Antwort zu nehmen. Und was da für eine Riesen SMS kam! Ich tippe sie euch nicht ab, sondern nur Auszüge davon.
„Ich vertrage keine Menschenmengen und keine laute Musik. Die Welt ist doch voller Aggressivität, daher vermeide ich Ansammlungen und auch übervölkerte Stadtteile. Also schlage bitte nichts vor in Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte oder Kreuzberg. Auch das Volk in Neukölln sagt mir nicht zu. … Die meiste Musik heute mag ich eh nicht, die hat für mich keine Qualität. Ich mag es ruhiger, vielleicht Kammermusik oder eine Sinfonie. … In der prallen Sonne sein, vertrage ich nicht, beachte das bitte. … Übrigens tut es mir auch nicht gut, wenn es so spät wird, denn ich bin immer so früh wach. Wir könnten ja vielleicht am Sonntagnachmittag in die Philharmonie gehen, da gibt es immer ein Kammermusik-Konzert…“
Jessas, mitten im herrlichsten Sommer soll ich am Sonntagnachmittag dafür Eintritt zahlen, dass ich mit ihm in einem geschlossenen Raum sitze und einschläfernde Musik höre?
Ich schrieb ihm, dass er doch erst 44 sei, aber seine SMS klänge, als sei er ein verschrobener gebrechlicher 80jähriger, und dass ich einen Partner will, der offen für die Welt ist.

Viele Neurotiker sind wie M., aber längst nicht jeder. Was einen Alltagsneurotiker ausmacht, erkläre ich im nächsten Beitrag!
© Beatrice Poschenrieder
„Mr.

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