Bist du mit einem/r Narzissten/in zusammen? Oder bist du sogar selbst eine/r? Hier wird erklärt, was “narzisstisch” wirklich bedeutet
Mit den Begriffen “Narzisst”, “Narzissmus” und “narzisstisch” werfen heutzutage sehr viele Leute wild um sich. Es stimmt zwar, dass diese Eigenschaft oder Störung immer mehr Verbreitung findet, aber oft wird anderen dieses Etikett zu schnell verpasst. Zum Beispiel nur weil jemand dich von oben herab behandelt oder sich dir überlegen fühlt (vielleicht ist er/sie es ja tatsächlich?), ist das noch lange nicht narzisstisch – weder im psychologischen Sinne noch in dem, was die Allgemeinheit so bezeichnet. Landläufig herrscht auch die Meinung vor, Narzissmus bedeute, dass jemand sehr eitel, selbstgefällig und über-selbstbewusst ist. Nun: Das ist falsch!
Manche Narzissten tun wenig (oft sogar zu wenig) für ihr Äußeres, geben sich bescheiden oder kommen in der Rolle des Opfers, Helfers oder Märtyrers daher.
Erst mal muss man sich klar machen, dass “narzisstisch” eine Persönlichkeitsstörung ist – also eine echte Psycho-Störung mit Krankheitswert, wie sie auch in den Handbüchern der weltweit anerkannten Klassifikationen von Erkrankungen steht, dem ICD-10 /11 und dem DSM-5. Allerdings finde ich die Beschreibungen darin nicht übermäßig hilfreich für Laien. Daher nenne ich euch nicht nur die Diagnose-Merkmale, sondern erläutere sie euch auch näher.
Also.
Wie schon erwähnt, reichen einzelne Eigenschaften wie z.B. Überheblichkeit, Angeberei, notorisches Lügen, manipulatives Verhalten oder emotionale Kälte nicht aus für die Diagnose “Narzissmus”. Auch zwei davon reichen nicht aus!
In der folgenden Liste sind 10 typische Kennzeichen genannt (9 davon aus dem DSM-5), davon müssen mindestens FÜNF zutreffen – und zwar nicht nur ein bisschen, sondern ganz eindeutig!
Da ich finde, dass in der DSM-Aufzählung ein ganz wichtiges Merkmal fehlt (es ist teils in den anderen Punkten enthalten), setze ich es hier gleich auf Platz 1:
1) Ein unstillbares Verlangen danach, wahrgenommen zu werden.
Am augenscheinlichsten wird das heute an den unzähligen Selbstdarstellungen in Whatsapp-Profilen, Whatsapp-Nachrichten, bei Instagram, Facebook, auf anderen Webseiten, in anderen Medien (ich spreche nicht von beruflichem Sich-Zeigen, sondern von privatem!). Viele halten das für „normal“, dass man auf Instagram und anderen Kanälen ständig Bilder und Äußerungen von sich selbst postet, dass man im Whatsapp-Profil fast immer ein Foto von sich selbst drin hat und auf Facebook Posing betreibt. Aber mehr als die Hälfte der Leute, die diese Medien auch nutzen, kreisen darin keineswegs um sich selbst.
2) «Grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (z.B. übertreibt die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden).»
Dazu gehören auch Angeberei und Hochstapelei, aber nicht zwingend! Manche Narzissten (eher Narzisstinnen) tun sehr bescheiden, halten sich aber für unersetzlich und versuchen sich “hintenrum” sehr viel Anerkennung zu holen, etwa indem sie häufig bemerken, dass sie sich „aufopfern“, was sie alles für die anderen tun (nämlich weit mehr als diese) und wie sehr sie sich dabei aufreiben. Die anderen schneiden daneben echt schlecht ab.
3) «Ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe.»
Bei manchen Narzissten ist dieser Zug eher im Verborgenen, daher wirst du ihn nicht unbedingt gleich mitkriegen, sondern eher daran erahnen, dass sich der-/diejenige z.B. übermäßig mit Klamotten, Styling, Körper-Tuning u.ä. befasst oder mit Promis oder mit Statussymbolen oder sich an einem unerreichbaren Liebespartner / Liebesideal festklammert o.ä..
4) «Glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können.»
Auch dieser Zug ist manchmal sehr offenkundig und manchmal nicht. Wichtig ist hier zu wissen, dass ALLE Narzissten tief im Innern ein viel zu kleines Selbstwertgefühl haben und daher ständig darauf aus sind, bestätigt zu bekommen: So wie ich bin und ticke, das ist super / cool / bestens*. Wenn nun aber die Umgebung demjenigen spiegelt, dass er und sein Verhalten keineswegs bestens sind, sondern daneben, sperrt er sich dagegen, weil das sein ohnehin kleines Selbstwertgefühl noch mehr erschüttern würde. Stattdessen beruft er sich auf Personen, Gruppen, Internetforen o.ä., die „beweisen“, dass er völlig richtig liegt oder was Besonderes ist.
* (Daher sind Narzissten auch extrem empfindlich gegenüber Kritik oder allem, was für sie irgend nach Kritik riecht, selbst wenn es von dir nicht mal im Ansatz so gemeint war.)
5) «Verlangt nach übermäßiger Bewunderung.»
Sprich, er / sie betreibt u.a. zu viel Fishing for Compliments.
Wenn du so jemand zuhause besuchst, hängen da z.B. jede Menge Fotos von dem-/derjenigen an den Wänden: Ich im Gala-Outfit, ich im Badedress nach der 10-kilo-runter-Diät, ich händeschüttelnd mit einem Promi, ich sportlich aktiv in XY. Da hängen auch Urkunden von beruflichen und sportlichen Leistungen, im Regal stehen vielleicht sogar zwei Pokale oder sonstige Auszeichnungen, und es wird dir, kaum dass du Platz genommen hast, ein Fotoalbum in die Hand gedrückt, ein gesammeltes „Mein-Best-Of“. Eventuell befindet sich dieses Best-Of-Album auch im Handy oder Tablet dieser Person, in seinem Facebook-Account, seiner Webseite oder sonstwo, wo er sich präsentieren kann.
6) «Legt ein Anspruchsdenken an den Tag (d.h. übertriebene Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder an automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen).»
D.h., er wird z.B. sehr ungehalten, wenn er beim Arzt oder sonstwo lange warten muss, wenn Angehörige nicht mit vorauseilendem Gehorsam auf seine Eigenheiten eingehen, wenn er im Lokal nicht den besten Platz bekommt, und wirft dann schnell mal mit Worten wie „rücksichtslos“, „gedankenlos“, „unverschämt“ um sich („Warum lädt sie denn zum Familienessen in dieses Lokal, wo sie doch weiß, dass ich XY nicht esse??!“).
7) «Ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch (d.h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen).»
Das kommt selten so offen und rücksichtslos daher, wie es hier klingt – sondern meistens subtil. Das ist ja das Fiese an Narzissten: dass sie manipulativ sind und in der Regel mehrere Manipulationsmethoden* in petto haben, oft sogar ein ganzes Arsenal. In erster Linie ziehen sie ein (Pseudo-)Selbstwertgefühl aus dem Manipulieren, und zwar nicht nur daraus, dass sie dich dazu kriegen, sie zu loben oder zu bestätigen, sondern auch daraus, dass sie dich zu IRGENDWAS kriegen – oder dass sie dich kleinkriegen.
* Die Manipulationsmethoden reichen von Dissen, Herabsetzen, Kälte, eisigem Ignorieren, Schuldgefühle-Verbreiten über Schauspielerei bis hin zu ganz dreisten Lügen, ja manchmal sogar unglaublichen Lügengebäuden. Zum Teil dienen diese Methoden auch dazu, zu “beweisen”, dass der/die Narzisst/in besser ist als du; da wird u.a. nicht davor zurückgeschreckt, dich bei anderen anzuschwärzen, Tatsachen komplett zu verdrehen und die krassesten Lügen über dich zu verbreiten.
Noch mehr Methoden, um andere zu kontrollieren, erfährst du hier: «Der/Die Kontrolleur/in: Gibt es einen Kontrollfreak in deinem Leben?»
8) «Zeigt einen Mangel an Empathie: Ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.»
Tückisch hier ist, dass der Hunger nach Bestätigung viele Narzissten dazu bringt, sich gewisse zwischenmenschliche Gesten und Äußerungen anzueignen, um als guter Mensch, als sozial kompetent dazustehen. Manche kriegen das so perfekt hin, dass sie dadurch etliche Leute in ihren Bann ziehen. Jedoch wenn der Narzisst sich dann mal angegriffen, kritisiert, abgelehnt fühlt oder seinen Willen nicht bekommt, ist das Mitfühlende oder „Liebenswürdige“ mit einem Schlag weg und es zeigt sich das kalte Gesicht.
Manche Narzissten tragen auch ihr eigenes Gefühlsleben wie einen Bauchladen vor sich her oder benutzen dich als seelischen Mülleimer, aber wischen deine Gefühle ruckzuck vom Tisch, wenn sie ihnen nicht in den Kram passen, oder stellen dich hin als verkehrt / wehleidig / dämlich etc.
9) «Ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie.»
Das hier meint nicht den „gönnenden“ Neid, der z.B. so geäußert wird: „Ich bin ja so neidisch auf dich, dass du jetzt deinen Traummann gefunden hast.“ Narzisstischer Neid ist boshaft, bösartig, herabsetzend, arrogant. Er zeigt sich auch manchmal darin, dass der Narzisst genau auf den Dingen herumhackt, die er insgeheim an dir beneidet: Deine geistige Überlegenheit wird dann umgemünzt zu „Besserwisserei“, dein beruflicher Erfolg zu „Strebertum“ oder “Einschleimerei”, dein finanzieller Erfolg zum Übervorteilen anderer, deine gute Figur zu „Essstörung“.
10) «Zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen.»
Hierzu gehören auch Verächtlichkeit und eine vielfältige Abwertung nahestehender sowie fremder Menschen (teils auch Pauschalverurteilung anderer). Die Abwertung findet oft unterschwellig statt, etwa in Form von Sticheleien, Ironie, Witzeleien, Bevormundung, „Verbesserungsvorschlägen“, aber natürlich auch als harsche Kritik oder Von-oben-herab-Bemerkungen.
Zu guter Letzt möchte ich nochmal betonen: Nur weil deine Tochter dauernd Fotos von sich postet, dein Partner öfter mal schwindelt (lügt) oder deine Kollegin empfindlich auf Kritik reagiert, sind die noch lange nicht narzisstisch, nicht mal im landläufigen Sinn. Dafür müssen mindestens 5 der o.g. Punkte zusammenkommen.
Im nächsten Beitrag verrate ich dir, woran du, wenn du jemand datest, schon zu Beginn erkennen kannst, ob er oder sie narzisstisch ist!
Bitte lies dazu auch:
• «Mein Liebhaber ist arrogant und egoistisch, aber ich komme nicht von ihm los»
• «Bis jetzt war ich kalt und narzisstisch, liebt meine Freundin mich vor allem dafür?»
• «In jeder Beziehung inszeniere ich Dramen – warum?»
© Beatrice Poschenrieder