Schräge Dates: Der Mann, der noch Kind sein will (Teil 3)

Er sucht nicht eine ebenbürtige Partnerin, sondern eine Ersatzmami, die ihn an die Hand nimmt, um die ganzen Bereiche seines Lebens auf Reihe zu kriegen

Manche Männer wollen immer Kind bleiben und benehmen sich auch so

Hier der letzte Teil meines Berichts über Tim, den netten, aber bisher arbeits-, beziehungs- und sexlosen 34jährigen…
Er sandte mir nach unserem zweiten Date eine Nachricht: In welchem Verhältnis wir beide denn nun zueinander stünden – ob es auf eine Beziehung zulaufe oder nur Freundschaft? Denn er hätte gern die erste Option.
Das überraschte mich – der Altersunterschied ist doch viel zu groß! Und merkte er nicht, dass er mir überhaupt nicht gewachsen war? Eher nicht, dachte ich dann, der denkt vermutlich gar nicht über sowas nach, sondern braucht einfach eine Frau, die ihn aus seinem Elend rausholt. Ich wagte es aber nicht, dies so direkt zu antworten (am Ende würde er sich noch vor eine U-Bahn werfen), sondern schrieb ihm diplomatisch, dass man das ja nach zwei Dates noch nicht sagen könne und wir uns einfach noch weiter kennen lernen könnten. Dies wiederum verpflichtete mich zu einem weiteren Treffen – was aber auch nicht schwierig für mich war, weil er ja eine liebenswürdige Art hatte und ich ihn überall hin mitschleppen konnte: Er war für jede Unternehmung dankbar.
Ich nahm ihn mit zu einem Band-Contest und vorher in ein arabisches Lokal in Kreuzberg, das ich ohnehin testen wollte. Ich holte ihn am U-Bahnhof ab; es war an dem Abend empfindlich kühl, trotzdem trug er wie zu den anderen Dates nur Jeans, Turnschuhe und ein quietschbuntes T´Shirt – keine Jacke, keine Tasche (jede Wette, dass normalerweise seine Mutter ihm die Klamotten und die Jacke rausgelegt hatte?). Er fröstelte und zog Kopf und Schultern noch mehr nach innen, als er es eh schon tat.
Im Lokal musste ich ihm alles erklären, was es zu essen gab. „Warst du noch nie beim Araber?“ fragte ich. „Nein“, sagte er, „ich war noch nie in Berlin essen, außer mit dir.“
Man, wie kann das bloß sein…? Er wohnt in einer belebten Gegend, wo es hundert Möglichkeiten gibt, vielfältig und preiswert zu essen.
„Was isst du denn so, den Tag und die Woche über?“ fragte ich. Ich erfuhr, dass er immer das absolut Gleiche aß: Zum Frühstück Haferflockenbrei, mit Wasser und Milch aufgekocht, gesüßt mit einer großen Portion Marmelade; mittags weißen Toast mit Nutella; abends Pommes mit Ketchup. Jeden Tag! Seit er in Deutschland war, also seit über 5 Monaten. Er ernährte sich wie ein kleines Kind! Hilfe!
Dementsprechend ließ er auf seinem wundervoll gemischten Teller alles liegen, was ihm nicht koscher vorkam (nämlich die Hälfte).
„MamisIhr könnt euch leicht denken, dass so jemand auch schwerlich in der Lage ist, allein zu leben, geschweige denn sich eine Wohnung einzurichten; dementsprechend bewohnte Tim ein möbliertes Mini-Zimmer in einer WG und hatte nicht mal die Eier, seiner Vermieterin (die ihm für 11 qm 650 Euro abknöpfte) zu verklickern, dass er sich kaum in seinem Bett zu bewegen wagte, weil es so wackelig war.
Um sein Deutsch zu verbessern, ging er auch nicht raus ins Leben, sondern hockte in seinem Zimmerchen und guckte auf dem billigen Mini-Fernseher Soap Operas wie „Sturm der Liebe“ und „Rote Rosen“.
Ferner erfuhr ich, dass er überhaupt noch nie in seinem Leben in eine Bar, einen Club, eine Disco ausgegangen war. Himmel! Mit 34! „Hast du keine Freunde?“ fragte ich, „auch drüben in deiner Heimat nicht?“
Er verneinte: „Weder hier noch drüben.“
„Warum?“ fragte ich, „wie kann das bloß sein?“
Er zuckte mit den Schultern und meinte dann, er sei es nicht gewöhnt, auszugehen und Leute kennen zu lernen – er durfte, bis er 12 war, nie das elterliche Haus verlassen, außer um zur Schule zu gehen, und das auch nur in Begleitung seiner Mutter. Und danach traute er sich auch kaum raus, zumal er für jeden Schritt Rechenschaft ablegen musste.
Krass, oder?
Er hatte ja auch angedeutet, dass er vor den Eltern nach Deutschland geflohen sei. Ich hatte erst gedacht, er meine es im Spaß, aber es war sein voller Ernst. Und trotz dieser Flucht war er noch total ein Gefangener seiner vielen Ängste und Konditionierungen. Er tat mir schrecklich leid… wie einsam muss so ein Mensch sein. Und einen Moment überlegte ich natürlich, ihm zu helfen. Aber wenn ich mir ihn dann wieder ansah, mit seinem Kinder-Outfit, seiner unterwürfigen Körperhaltung, seinen merkwürdigen Marotten… Zum Beispiel direkt nach dem Essen und später auf dem Contest machte er etwas, was er bei jedem Date gemacht hatte: Wenn er dachte, ich sähe nicht hin, riss er ganz weit den Mund auf und beließ ihn für zwei Sekunden so (der 5jährige ADHS-Sohn von Bekannten machte das auch). Oder diese unglaublich lauten Essgeräusche! Und dann noch dieser abgewinkelte Arm, den er beim Gehen steif in meine Richtung hielt…!
Nee nee, ich wollte nicht die Pflegemutter und Ersatztherapeutin für einen Mann spielen, der aus seiner verkorksten Kindheit nicht rauskommt.

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© Beatrice Poschenrieder

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